"...dass einem die Spucke wegbleibt":
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Low-End Models: Homepage
Freiburg, 17. Okt. 99, with: Chelsea on Fire
Wermelskirchen, 18. Sept. 99, support for: D.O.A., 1. Mai 87


Freiburg, 17. Okt. 99
with: Chelsea on Fire
Nach der angenehm kurzen Umbaupause betreten die Low End Models aus Köln die Bühne und schnell wird mir klar, dass die Worte "hard rockin' girls", mit denen auf Plakaten für die Vorband geworben wurde, eigentlich zu diesem Trio gehören. Das Außergewöhnliche der Band offenbart sich gleich in der Besetzung: Alexandra singt ("nur"!), Ines bedient sechs Saiten und Drummerin Babsi schreibt Rhytttttthmus mit sechs Ts... Ines muss mit der einen Gitarre also Bass und Lead-Gitarre "simulieren" und sie schafft es, dass ich mich immer wieder ganz irritiert umgucke: Wo um Himmels willen versteckt sich die Basserin??? Aber es gibt keine Basserin, nur eine Gitarristin, die ihr Instrument beherrscht. Das zeigt sich besonders in dem einzigen Instrumental Song des Abends, wo Ines und Babsi uns ihr Können genießen lassen. Ich hab schon lang kein so trocken knarzig klingendes Schlagwerk mehr gehört, präzise und virtuos gespielt natürlich sowieso. Ich hab auch schon lange keine Musik mehr gehört, die sich so sehr an der Grenze zwischen Punkrock und Industrial bewegt wie dieser kraftvolle Sound, der mir da um die Ohren geblasen wird. Geil! Finde nicht nur ich, sondern auch der Rest im gut besuchten Keller, in den langsam richtig Bewegung kommt.

Und dann ist da natürlich noch Sängerin Alexandra. Eine Frau wie ein Vulkan, echt wahr! Die Low End Models bezeichnen ihre Musik als Queercore, was eine politisch ausgerichtete Mischung aus Punkrock und Hardcore meint, die sich gegen die Unterdrückung gleichgeschlechtlicher Liebe wendet. Natürlich geht's den Low End Models auch allgemein um die Stärkung der Identität von Frauen und Lesben. Die deutsch- und englischsprachigen Texte setzen sich inhaltlich also mit "Frauenbildern" im weitesten Sinne auseinander, das Spektrum reicht von so "persönlichen" Themen wie sexuellem Missbrauch über Ess-Störungen bis zur Dekonstruktion gängiger Weiblichkeitsklischees wie "jung, dynamisch, schön", denen die meisten von uns ja irgendwie hinterherhecheln. Der folgende Songtext bringt letzteres ziemlich gut rüber und fragt nach dem "Hinter der Fassade":

"werbeblock ich find dich so toll ich finde dich so schön ich möchte dich mal sehn in echt wie du dastehst mitten im regen in deinem spitzenbustier und lachst es sieht nicht gespielt aus du bist so schön und dein lachen tut mir so gut ist so nett ich seh dich jeden abend und lache in den regen zurück schön dich zu sehn vielleicht könnten wir ja mal einen kaffee trinken gehn wie du wohl bist wie du wohl bist"

Wenn Alexandra singt, dann schafft sie es innerhalb von Sekunden, von der eben noch netten, lustigen, "harmlosen" Ansagerin zur straighten, toughen Punksängerin zu mutieren, die erst durch die Musik richtig leben kann, im Takt der Musik hüpft, sich biegt, stampft und über die Bühne tobt, dass einem die Spucke wegbleibt vor soviel Präsenz. Die Vielschichtigkeit ihrer Persönlichkeit spiegelt sich schon in ihren kleidungstechnischen Accessoires: Das eine Handgelenk mit schweren Metallriemen beladen, über dem anderen Arm locker die rosa Federboa drapiert. Und beides paßt an diesem Abend perfekt zusammen!

Pixelhexe
www.pixelhexe.de



Wermelskirchen, 18. Sept. 99
support for: D.O.A., 1. Mai 87
Die LOW END MODELS sind der einander zugeneigten Schwesternschaft schon länger bekannt; von einem saufenden, unrasierten und testosterongesättigten Publikum würden sie ganz gewiß argwöhnisch beäugt werden, vermutete ich. Zumal die Gesangsfrau ihre üppig gewachsene Leibespracht derart lebendig auf die Bühne brachte, daß so manchem Bierbauch die Augen dafür geöffnet wurden, daß Körperlichkeit gleich welcher Form erst einmal lecker ist: sich selbstbewußt wohlfühlen statt sich und andere in Körpernormen zu zwängen, war hier möglicherweise die Botschaft.
(...) Der Sound der LOW END MODELS deckt eine breite Palette von ruppig bis melodisch ab, allzu bekannte Punk- und Hardcore-Schemata sind nicht darunter. Manche Stücke ähnelten überlangen Dance-Tracks: im Zusammenspiel mit dem Computer erfüllte Guitarrera Ines den Raum mit hypnotischen Sounds, die einerseits sperrig und abweisend, andererseits organisch und einladend rüberkamen. Nix für Nietenpublikum.

Müllamanfred
www.koelnkrach.de